Positionspapier zum Thema Internet-Sperren
18. Juni 2003 Revision: 1.9
Kontakt: siug@siug.ch
0. Inhalt
- Einleitung
- Was will mit Sperren erreicht werden?
- Wie wird geblockt?
- Was ist an Sperren schlecht?
- Die Position der SIUG
1. Einleitung
Über Internet können verschiedene Inhalte angeboten und abgerufen werden. Der freie Zugang zu Inhalten wird bisweilen kritisiert.
Die SIUG respektiert Ihre Medienkompetenz und Ihre individuelle Selbstverantwortung als Internetbenutzer. Wir gehen davon aus, dass Sie in der Lage sind, *selbständig* und *frei* darüber zu entscheiden, welche Inhalte Ihnen zusagen und welche Art von Information Sie im Internet abrufen wollen und wie die angebotenen Inhalte einzuordnen und zu bewerten sind.
2. Was will mit Sperren erreicht werden?
Bevor man über die verschiedenen Aspekte von Sperren diskutieren kann, muss man sich darüber im Klaren sein, welche Ziele damit erreicht werden sollen:
- Vollstreckung von lokalen Gesetzen
Man möchte verhindern, dass nach den Kriterien einer nationalen oder regionalen Rechtsordnung strafrechtlich relevantes Material für die Subjekte dieser Rechtsordnung erreichbar ist bzw. von ihnen veröffentlicht werden kann. Dieses Ziel wird auch dann angestrebt, wenn der Ort der Veröffentlichung ausserhalb des Durchsetzungsbereiches dieser Rechtsordnung liegt. - Moral
Mit Sperren soll verhindert werden, dass nach der jeweils herrschenden Moraldefinition unanständiges oder obszönes Material verbreitet wird. - Jugendschutz
"Schutz" von Minderjährigen vor bestimmten Inhalten, die für Volljährige weiterhin frei zugänglich bleiben. - Zensur
Kritische Meinungen sollen ausgeblendet und deren weitere Verbreitung verhindert werden.
Konkrete Beispiele für obige Ziele gibt es viele. Stellvertretend seien einmal die totalitären Regimes wie China oder Saudi-Arabien erwähnt. [Hinweis auf Canton de Vaud] [3]
3. Wie wird zensiert?
Um die Sperren durchzuführen, gibt es verschiedene technische Ansätze. Die häufigsten sollen hier erklärt werden:
3.1 DNS-Einträge
Jeder Rechner im Internet wird über eine weltweit eindeutige Nummer adressiert, die sog. IP-Nummer (zB. 213.144.140.234). Da sich diese Nummern ziemlich schlecht merken lassen, besitzt jeder Rechner auch einen Namen (zB. www.siug.ch). Über spezielle Server (die sog. DNS-Server) lassen sich nun diese Namen in IP-Nummern auflösen (www.siug.ch würde zB. auf 195.134.144.52 aufgelöst).
Jedermann, der sich im Internet bewegen möchte, braucht im Normalfall Zugriff auf diese DNS-Server. Kunden eines Internet-Zugangsanbieters benutzen normalerweise die DNS-Server, die ihnen vom Anbieter zugewiesen werden. Der Anbieter kann auch Manipulationen vornehmen. Möchte er zB. verhindern, dass seine Kunden auf www.siug.ch zugreifen können, muss er ediglich dafür sorgen, dass für www.siug.ch keine oder eine falsche IP-Nummer zurückgeliefert wird (mit einer falschen IP-Nummer kann er seine Kunden auch an einen anderen Webserver verweisen, der dann falschen Inhalt für www.siug.ch liefert).
Diese Art der Sperren haben aber zwei Nachteile. Zum Einen ist es nicht verbindlich, dass ein Kunde die DNS-Server seines Internet-Zugangsanbieters benutzt. Es ist absolut problemlos möglich, einen beliebigen DNS-Server zu benutzen. Zum Zweiten stellt dies einen Eingriff in einen Namensraum dar, der nicht gerechtfertigt ist. Nur der Besitzer eines Domainnamens (in diesem Fall siug.ch) darf bestimmen, welche IP-Nummern für alle Namen unterhalb seiner Domain zurückgegeben werden. Manipulationen am DNS stellen eine Enteignung dar.
3.2 IP-Adressen
Neben den Manipulationen in DNS-Servern ist es auch möglich, IP-Adressen zu blocken. Jeder direkte Transfer von Daten von oder zu gesperrten IP-Nummern wird dadurch unmöglich. Diese Sperre muss jeder Internet-Zugangsanbieter einzeln umsetzen.
Auch dieses Verfahren hat mehrere Nachteile. Die meisten Webhosting Anbieter (diese vermieten Speicherplatz auf ihren Servern, damit ihre Kunden dort ihre Webseite der Öffentlichkeit anbieten können) konfigurieren ihre Webserver normalerweise so, dass pro IP-Adresse mehr als eine Webseite abgerufen werden kann (sog. Virtualhosts) und mit dem Namen unterschieden wird. Dadurch können IP-Addressen effizienter genutzt werden, was technisch sinnvoll und aufgrund der IP-Nummernknappheit sogar nötig ist. In diesem Fall ist kein selektives Blocken möglich - sämtliche Kunden und Dienste (auch z.B. E-Mail) des blockierten Servers können nicht mehr erreicht werden.
Ferner gibt es im Internet öffentlich zugängliche Proxy-Server (zB. http://www.anonymizer.com/). Die Aufgabe eines Proxy-Servers ist es, Webseiten zu cachen (zwischenspeichern), um die Internetleitungen zu schonen. Solange die zu sperrenden Seiten auf einem solchen Proxy zwischengespeichert sind, können die Sperren umgangen werden. Neben den öffentlich zugänglichen Proxy-Servern gibt es auch noch private, die nur einem gewissen Kreis von Nutzern zur Verfügung stehen. Es ist kaum möglich, alle Proxies zu kontrollieren und zur Sperrung von Websites zu verpflichten.
Eng mit den Proxy-Servern verwandt sind Dienste wie Google (http://www.google.com/) und Internet Archive Wayback Machine (http://www.archive.org/). Bei beiden lassen sich Webseiten ab einem Zwischenspeicher abrufen. Es ist allerdings festzuhalten, dass diese Kopien nicht unbedingt ganz aktuell sein müssen. Auch dynamische Webseiten (wie z.B. Online-Gambling-Seiten) lassen sich nicht mit solch einem Zwischenspeicher verwenden.
Den Kunden von oben erwähnten Webhosting Anbietern kann (als unbeteiligte Dritte) Schaden entstehen. So etwas ist in der Schweiz bereits passiert, siehe [4]. Im April 2002 wurde der Internet-Dienstleistungsanbieter Butlerweb von der IP+/Swisscom gesperrt. Viele Webseiten waren darauf hin nicht mehr erreichbar.
3.3 Proxies
Ein Internet-Zugangsanbieter (Provider) kann seine Dienste so einrichten, dass die Kunden nur dann Zugang zu Inhalten des Internet erhalten, wenn ihre Anfragen über den Proxy des Providers laufen (Zwangsproxy). In einem solchen Proxy lassen sich Filter einschalten, die den Zugang einschränken.
Einen solchen Zwangsproxy aufzubauen benötigt einen erheblichen Aufwand. Ferner werden durch einen Zwangsproxy viele Dienste nicht mehr benutzbar (zB. Chatdienste oder Video- und Audiostreaming).
Auch Zwangsproxies lassen sich in vielen Fällen umgehen. Meistens ist es ausreichend, wenn ein Webserver auf einen vom Standardport (80 oder 443) abweichenden Port konfiguriert wird (z.B. http://www.siug.ch:1234/). Dies wird normalerweise von einem Zwangsproxy nicht erfasst.
3.4 Allgemeine Gegenmassnahmen
Neben den bereits erwähnten gibt es noch weitere, allgemeinere Gegenmassnahmen:
3.4.1 Spiegeln
Unter dem Begriff "einen Mirror einer Website aufsetzen" versteht man das Anfertigen einer genauen Kopie einer Site, die an einem anderen Ort zum Abruf bereit gestellt wird. Üblicherweise stellt man einen Mirror einer Webseite bereit, um Besucher aus verschiedenen geographischen Gebieten auf verschiedene, geographisch näher gelegene Server zu verweisen und so die internationalen Leitungen zu entlasten. Ebenso ist es aber möglich, eine gesperrte Site an einem anderen, problemlos erreichbaren Ort zu spiegeln.
Mirrors sind kaum kontrollierbar. Innert weniger Stunden können von einer Site eine Vielzahl an Mirrors entstehen. Und dies wird auch gemacht. Dadurch werden die gesperrten Sites noch populärer.
3.4.2 Umzug
Ein Webserver, der gesperrt wurde, lässt sich durch einen Umzug trotzdem wieder zugänglich machen. Dabei wechselt man entweder den Provider oder die Adresse einer Website.
Im Falle einer DNS-Sperre reicht es aus, auf eine neue Domain zu wechseln.
3.4.3 Alternative Dienste
Neben den Protokollen, die üblicherweise verwendet werden, um Webseiten abzurufen (HTTP und FTP) lassen sich Informationen auch auf anderem Weg verbreiten. Um einige zu nennen: Usenet (auch bekannt unter dem Namen Newsgroups oder Netnews), IRC (ein Chat-System), diverse Peer-to-Peer Dienste (wie Freenet, Kaazaa oder eDonkey) oder ICQ (ein Instant-Messaging-Dienst). Informationen, die über diese Systeme ausgetauscht werden, sind dank dem dezentralen Aufbau dieser Dienste praktisch unkontrollierbar.
4. Was ist an Sperren schlecht?
4.1 Bevormundung
4.1.1 Rezipientenfreiheit wird eingeschränkt
Gemäss Artikel 16 der Bundesverfassung [2] hat jede Person das Recht, Informationen frei zu empfangen. Durch Sperren im Internet wird dieses Grundrecht eingeschränkt.
Es ist zu unterscheiden zwischen dem Abrufen und dem Anbieten (d.h. Veröffentlichen) von Informationen. Für das Veröffentlichen gibt es durchaus Einschränkungen, das freie Empfangen und Abrufen von Informationen wird aber eindeutig durch die Verfassung garantiert.
4.1.2 Kommunikationsfreiheit (-> Sperre von Mailverkehr)
Sollte die Sperre durch eine Filtermassnahme wie zB. das Blocken von DNS-Einträgen (siehe Abschnitt 3.1) IP-Adressen (siehe Abschnitt 3.2) durchgeführt werden, dann ist nicht nur das Abrufen von Webseiten gesperrt. Darüber hinaus wird oft auch der Mailverkehr mit den entsprechenden Adressen gesperrt. Mailverkehr untersteht dem Postgeheimnis und darf unter gar keinen Umständen blockiert werden.
4.2 Unterdrückung von Oppositionen
4.2.1 Bedrohung der Redefreiheit
Sollte eine Zensurinfrastruktur zu einem vorgeblich guten Zweck aufgebaut werden, lässt sich trotzdem nicht mit Sicherheit voraussagen, ob diese immer zu einem solchen verwendet wird. Daneben besteht auch eine ziemlich grosse Missbrauchsgefahr der Infrastruktur.
Deshalb ist es wichtig, das Enststehen einer solchen Infrastruktur zu verhindern.
Als Beispiel lässt sich hier das Deutsche Bundesland NRW anführen. Regierungspräsident Büssow spricht jetzt davon zwei Websites zu sperren. Für die Zukunft werden aber weit höhere Zahlen genannt.
4.2.2 "Zensurschere" im Kopf
Wird der Bevölkerung häufig vor die Augen geführt, dass gewisse Inhalte an deren Verbreitung gehindert werden (und damit unerwünscht sind), wird sich das Bewusstsein ändern. Es baut sich eine Sperre im Kopf ein, die denjenigen daran hindert, seine Meinung zu äussern.
4.3 Demokratische Grundsätze
Eine funktionierende Demokratie ist auf möglichst viele und vielfältige Meinungen angewiesen. Wird jemand an der freien Äusserung seiner Meinung gehindert, stellt diese eine Ausgrenzung dar (wie sie z.B. im Dritten Reich bereits mit der Bücherverbrennung stattgefunden hat. So etwas darf sich nicht wiederholen).
4.4 Undurchführbarkeit
4.4.1 Wirtschaftlich
Internetsperren haben einen grossen wirtschaftlichen Nachteil. Jede zu sperrende Internetseite muss von jedem der vielzähligen Provider gesperrt werden. Wenn davon ausgegangen wird, dass es 30 Provider gäbe, dann würden für jede zu sperrende Seite in 30 Firmen ein Arbeitsaufwand entstehen. Dieser ist - vorallem, wenn der durch Internet-Sperren erreichte Ertrag betrachtet wird - unverhältnismässig.
Zusätzlich kommt noch hinzu, dass die Kosten für die Sperren meist an die Kunden weitergegeben werden.
4.4.2 Aktualität
Es gibt eine Vielzahl an Internet-Zugangsanbieter in der Schweiz. Bei jeder neu zu sperrenden Webseite oder beim Wegfall einer Sperre müssen sie alle informiert werden.
Zudem kann eine Webseite auch umziehen. Es wäre also nötig, dass in öglichst kurzen, regelmässigen Abständen geprüft würde, ob eine Webseite umgezogen ist.
Aus technischer Sicht betrachtet ist dieser Zustand äusserst mühsam und unhaltbar.
4.5 Falscher Ansatz
4.5.1 Freier Informationszugang
Bei ungerechten Inhalten (wie z.B. Kinderpornographie oder Gewaltverherrlichung) muss der Hersteller bzw. Verbreiter gefunden und bestraft werden. Es ist keine Lösung, wahlfrei den Informationszugang seiner Bürger einzuschränken.
4.5.2 Propaganda
Bisher war es so, dass jede Sperre einer Webseite einen kleineren bis mittleren Medienrummel verursacht hat. Dadurch werden betreffende Webseiten einem grösseren Kreis von Leuten bekannt und die Adressen der Spiegel dieser Seiten werden verbreitet.
Dies ist das genaue Gegenteil davon, was eigentlich erreicht werden sollte.
4.5.3 Gesellschaftliches Problem
Das Sperren von Internetseiten ist ein technischer Eingriff. Die meisten "Probleme", welche damit beseitigt werden sollten, sind jedoch auf anderer Ebene angesiedelt: Nämlich in der Gesellschaft.
Häufig werden Webseiten gesperrt, die sich kritisch über den Staat äussern. Solche Informationsangebote werden erstellt, wenn Teile der Gesellschaft unzufrieden mit der momentanen Situation sind.
Die Gründe für diese Unzufriedenheit sollten beseitigt oder zumindest diskutiert werden. Die Kritik einfach mit technischen Mitteln auszublenden trägt nicht zu der Problemlösung bei.
4.6 Kollateralschäden
Je nach verwendeter Sperrmethode können unterschiedliche Kollateralschäden entstehen.
Wie in Abschnitt 3.2 erwähnt können beim Blocken von IP-Nummern auch Webseiten von unbeteiligten Dritten unerreichbar werden. Dies ist bereits einmal passiert, als der grosse Webhosting Provider Geocities gesperrt wurde.
Beim Blocken von IP-Nummern kann es auch passieren, dass keine Mails mehr an die Betreiber der gesperrten Webseite geschickt werden können. Dadurch wird es für sie unmöglich, zu kommunizieren (sie könnten zwar noch Mails versenden - aber keine mehr empfangen). Dies geht weit über die Absicht, Inhalte vor dem Abrufen zu schützen, hinaus und ist inakzeptabel. Zudem verhindert es die kritische Auseinandersetzung mit den Anbietern der blockierten Seiten vollständig.
5. Die Position der SIUG
Die SIUG setzt sich für den Schutz und den Ausbau von grundlegenden Menschenrechten wie dem Recht auf freie Meinungsäusserung und der Rezipientenfreiheit ein.
Einschränkungen dieser Rechte müssen verhältnis- und zweckmässig sein und bedürfen besonders sorgfältiger rechtsstaatlicher Verfahren. Zudem ist auf Transparenz und unabhängige Kontrollmöglichkeiten zu achten.
Sperrungen von Internetangeboten sind weder zweckmässig (da sie leicht umgangen werden können) noch verhältnismässig (da ein erheblicher Aufwand auf Seiten der Provider notwendig ist und mit hoher Wahrscheinlichkeit Schäden für unbeteiligte Dritte entstehen).
Die Zensur von Internetzugängen stellt lediglich eine Bekämpfung von Symptomen dar. Die SIUG hält fest, dass rechtlich unerwünschte Inhalte nicht auf der Seite der Empfänger, sondern der Absender bekämpft werden müssen. Selbst wenn die Verfolgung der Urheber schwierig ist, besteht keine Veranlassung zur Unterminierung unserer Rechte auf freie Meinungsäusserung und die Rezipientenfreiheit.
Das vermeintliche Ausblenden unerwünschter Inhalte führt lediglich zu einer verminderten Kritikfähigkeit seitens der Empfänger - ein wichtiger Stützpfeiler unserer Demokratie.
Prohibition und Zensur sind keine nachhaltigen Problemlösungen, und sind einer Demokratie unwürdig.